
Neutrality - Neutralität - Neutralité
39th EPF Annual Conference
Oslo, Norway
Mar. 27 – 28, 2026
Argument der EPF-Jahrestagung „Neutralität – Neutrality – Neutralité“
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
wir freuen uns sehr, Sie zur 39. Jahrestagung der Europäischen Psychoanalytischen Föderation 2026 nach Oslo, Norwegen, einzuladen. Zum ersten Mal wird die EPF-Tagung in Norwegen stattfinden mit der Norwegischen Psychoanalytischen Gesellschaft als unserem Gastgeber. Wir ziehen also weiter von unserer Tagung in Dresden an der Elbe nach Oslo, das an dem beeindruckenden Oslofjord gelegen ist. Unser Tagungshotel, das Clarion Hotel The Hub, ermöglicht einen phantastischen Blick auf diesen Ausläufer der Nordsee.
Als Thema haben wir „Neutralität – Neutrality – Neutralité“ gewählt. Dabei handelt es sich um einen Begriff, der nicht nur innerhalb der Praxis der Psychoanalyse, sondern auch auf anderen Wissenschaftsfeldern Verwendung findet.
In der internationalen Politik bezeichnet „Neutralität“ (lateinisch neuter = weder das eine noch das andere) entweder, dass ein Staat in einer Konfliktsituation zwischen anderen Staaten keine Konfliktpartei unterstützt oder aber, dass er kein Mitglied eines Bündnisses ist.
Die Neutralität des Gerichts wiederum ist ein zwingendes Gebot des Rechtsstaatsprinzips: Exekutive und Judikative sind demgemäß organisatorisch scharf getrennt. Das Gericht ist kein Handlanger des Staates.
In der Philosophie wird das Problem der Neutralität zusammen mit dem der Objektivität verhandelt: objektiv sein, heißt, von einem neutralen Standpunkt aus zu urteilen, also von der eigenen Subjektivität bestmöglich zu abstrahieren.
Klimaneutralität meint schließlich, dass menschliche Aktivität keinen Einfluss auf das Klima ausübt.
Lassen sich diese Bedeutungen von Neutralität auch auf dem Gebiet der Psychoanalyse wiederfinden? Und welche Wendungen und Verschiebungen erfährt der Begriff, als er in der Geschichte der Psychoanalyse auftaucht, um die „Einstellung“ (Freud) des Analytikers gegenüber seinem Patienten neu zu bestimmen?
Es ist bemerkenswert, dass Freud selbst das Wort ‚Neutralität‘ im Zusammenhang mit behandlungstechnischen Fragen nie benutzt hat. Es ist aus der Übersetzung von bestimmten Passagen seines Werkes ins Englische hervorgegangen. Im Eintrag „Neutralität“ ihres „Vokabulars der Psychoanalyse“ haben Laplanche/Pontalis entscheidende Passagen aus dem Werk Freuds zusammengetragen, aus denen sie schließlich den Begriff der Neutralität herausdestillieren.
Am wichtigsten zum psychoanalytischen Verständnis von ‚Neutralität‘ erscheint Freuds kurzer Aufsatz „Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung“ von 1912. Es lassen sich dort verschiedene Formen von ‚Neutralität‘ unterscheiden:
Neutralität gegenüber dem dargebotenen Material meint z.B., dass der Psychoanalytiker „absichtslos“ (GW VIII 380) zuhört, sich alles „gleichmäßig“ merkt (377), keine Auswahl trifft, keine eigene Zensur einsetzt. Bekanntlich nennt Freud dieses Verfahren auch „gleichschwebende Aufmerksamkeit“ (377).
Neutralität muss auch gegenüber eigenen Gefühlsregungen bzw. Affekten gewahrt werden. Die Liste möglicher solcher Affekte ist lang. Freud erwähnt selbst das Mitleid (380) sowie den therapeutischen (381) bzw. erzieherischen Ehrgeiz (385). Demnach schaden übertriebene Anforderungen an sich selbst der Sache genauso wie der Wunsch, aus dem Patienten möge etwas ganz Besonderes werden. Freud rät auch davon ab, laufende Behandlungen durch eigene Forschungs- bzw. wissenschaftliche Interessen zu stören. Am geeignetsten erscheint ihm das Modell des Chirurgen, der unter der Bedingung der „Gefühlskälte“ (381) die Operation am erfolgreichsten ausführt. Es ist sicher am weitesten weg von der früheren „Suggestionsbehandlung“ (384).
Immer wieder verbindet sich das Ideal analytischer Neutralität in Freuds Text mit der Notwendigkeit, „die Eigenbeziehung“ (378) von störenden Einflüssen, sogenannten „Eigenkomplexen“ (382) freizuhalten. Das ist die Aufgabe der „Eigenanalyse“, die wir heute Lehranalyse nennen.
Besonders interessant für die aktuelle Debatte um den Begriff der Neutralität im Kontext intersubjektivistischer und relationistischer Theorien ist ein letzter Aspekt aus Freuds Text rund um den Begriff der „affektiven Technik“ (384). Sie ist gleichsam ein Synonym für „selfdisclosure“, also die Neigung, den Patienten vertrauliche Mitteilungen aus unserem eigenen Seelenleben zu geben. Freud warnt davor, dieser Versuchung zu erliegen. Der Schaden für die Behandlung sei sehr viel größer als der Nutzen. Man wecke nur die Begehrlichkeit des Patienten, mehr über seinen Analytiker zu erfahren, statt sich dem eigenen Unbewussten zuzuwenden, unterstützt nur seinen Widerstand dagegen.
Schließlich verweise ich auf die berühmte Passage, in der Freud von der „Indifferenz“ (gegenüber den Patienten) spricht, „die man sich durch die Niederhaltung der Gegenübertragung erworben hat“ (GW X, S. 313). Es lohnt sich, die verschiedenen Nuancen zwischen Indifferenz/indifference/indifférence in den ausgewählten offiziellen Sprachen der EPF genauer zu betrachten. Strachey hat Freuds „Indifferenz“ als „neutrality“ wiedergegeben und damit wohl den Startschuss gegeben für den Siegeszug dieses Begriffes innerhalb der psychoanalytischen Welt. Neutralität meint hier schlichtweg, den Versuchungen der Übertragungsliebe zu widerstehen.
Diese verschiedenen Gesichtspunkte des Begriffes Neutralität wurden zunächst von Freud selbst wieder aufgenommen und dann in seiner Nachfolge von ganz verschiedener Seite kritisch kommentiert. Die Chirurgenmetapher wurde insbesondere von kleinianischer Seite (Brenman Pick, 1985 Working Through the Countertransference) abgelehnt, weil sie den Erkenntnissen des Psychoanalytikers aus der Analyse der Gegenübertragung zu wenig Bedeutung schenke. Freuds Kritik an der „affektiven Technik“ wurde im Zuge des intersubjektiven Paradigmas, die eine größere Gleichstellung zwischen Patient und Analytiker fordert, mehr oder weniger vergessen. Andere Kritiken richteten sich generell gegen das Neutralitätsgebot, insofern es der Zeit der „one body psychology“ angehöre, die die Subjektivität des Analytikers unter dem Vorzeichen angeblicher Objektivität schlichtweg ignoriert habe. Sogar vom „Mythos der Neutralität“ war die Rede. Insbesondere Laurence Kahn hat sich wiederholt gegen allzu einseitige und vereinfachende Freudkritiker und -kritiken gewandt und seine technischen (Grund-)Regeln, darunter die Neutralität, verteidigt.
Trotz vielfältigen Ein- und Widerspruchs hat sich das Konzept der Neutralität bis in die Gegenwart in den verschiedenen analytischen Schulen, Sprachen und Kulturkreisen als ein Kernbegriff der Analyse bewehrt. Dadurch unterscheidet sich die Psychoanalyse von der Psychotherapie. Dabei ist keinesfalls augenfällig, welche Unterschiede sich zwischen unterschiedlichen Traditionen herausgebildet hätten. Was sind z.B. spezifische Differenzen im Verständnis der Neutralität aus zeitgenössischer und postkleinianischer, aus contemporary Freudian und winnicottianischer Perspektive?
Laplanche hat eine Neubestimmung von Neutralität im Kontext seiner Allgemeinen Verführungstheorie vorgeschlagen. Demnach bedeutet „Neutralität“ nicht primär die Weigerung, dem anderen zu helfen, ihm Ratschläge zu geben oder Wissen weiterzugeben. Neutralität speist sich ihm zufolge vielmehr aus dem Respekt gegenüber der inneren Alterität, dem Gespür für die inneren Grenzen und zeigt sich als Abkehr jedes Bestrebens, den anderen zu beherrschen oder nach eigenen Maßstäben zu formen.
Wir möchten Sie gerne einladen, die vielen offenen Fragen rund um den Begriff der Neutralität gemeinsam mit uns zu bearbeiten. Angesichts der vielfältigen aktuellen gesellschaftlichen Krisen und Konflikte gibt es wenige andere psychoanalytische Konzepte, die sich gleichermaßen dazu eignen, eine Brücke zu schlagen zwischen Behandlungstechnik und politischer Realität, zwischen einer Psychoanalyse innerhalb und außerhalb des Behandlungsraums.
Wir freuen uns sehr auf Ihre Gedanken und Überlegungen zu diesem spannenden Thema und heißen Sie im Clarion Hotel The Hub in Oslo zur 39. Jahreskonferenz der EPF 2026 herzlich willkommen.
Jan Abram, Präsidentin
Udo Hock Vizepräsident, Vorsitzender des Programmkomitees
Nergis Gûleç, Generalsekretärin
Pre-Conference 25th – 26th March 2026
Main Conference 27th – 28th March 2026
More information will follow soon.
CALL FOR NEW AUTHORS
Individual Papers Oslo 2026
5.00 – 6.30 pm on Friday 27th March and Saturday 28th March, 2026
The Individual Paper Section offers an opportunity for new authors to present their clinical/metapsychological work to an EPF audience with the possibility of it being published on the EPF website.
The IP Section is open to:
New authors who are IPA members
Newly qualified analysts
New authors to the IP Section
The paper should be between 4,000 and 6,000 words and relate directly to the theme of the conference argument on the EPF website.
The main argument (up to 200 words), should be outlined in the Abstract. References must be included at the end of the paper according to the EPF Style Guide – see here
ALL CLINICAL MATERIAL MUST BE DISGUISED FOLLOWING THE EPF PUBLICATION POLICY – see here
Please send your paper in full with the title, author’s name and society, and the Abstract at the beginning of the paper.
Submissions should be received not later than November 30th 2025. You will receive the outcome of your submission at the beginning of January 2025.
PLEASE NOTE:
Submissions can only be accepted through the submission system. Please upload your submission here: (the link to the submission system will be available soon)
EPF registration tradition
All participants of the EPF Annual Conference are expected to register and pay the appropriate fee for the full conference. The only exceptions to this tradition are the Plenary Speakers, Executive Members and special invited guests for the Round Table.
All speakers and participants should be IPA members and/or candidates. Guests, who should be recommended by an IPA analyst, are also welcome as long as they are bound by a code of ethics related to psychoanalytical clinical work.
This registration tradition is based on the aims and objectives of the Annual Conference since the first EPF’s conference in 1976: to offer a forum for European psychoanalysts to gather together for psychoanalytic scientific discourse in an atmosphere of collaboration and tolerance regarding different theoretical psychoanalytic perspectives and the advancement of psychoanalysis.
We trust that all participants will appreciate the spirit of this esteemed tradition and see their registration fee as a contribution to the continuity and expansion of psychoanalysis in Europe in the best interests of all psychoanalytic societies of the Federation.
Thank you for your consideration.
EPF Executive